„Still Life“ – Eine musikalische Erinnerung an Stephan Kaske von Curtis Roads – Vollendet im Gedenken an einen Freund und Pionier der Computermusik
Zusammenfassender Beitrag über die Verbindung von Curtis Roads und Stephan Kaske
mit Material von Curtis Roads
Curtis Roads und Stephan Kaske lernten sich im Sommer 1982 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) kennen. Roads war dort Forscher am Experimental Music Studio und Herausgeber des Computer Music Journal für den MIT Press. Stephan nahm als Student am Sommerkurs für Computermusik teil.
“Coming to work at MIT one morning in the summer of 1982, I met Stephan Kaske. He was crumpled on the tile floor of the Experimental Music Studio, asleep after an all-night computing session.”
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„Als ich eines Morgens im Sommer 1982 zur Arbeit ans MIT kam, traf ich Stephan Kaske. Er lag zusammengerollt auf dem Fliesenboden des Experimental Music Studio und schlief – nach einer durchgearbeiteten Nacht am Computer.“
— Curtis Roads, Booklet Electronic Music 1994–2021
Aus dieser Begegnung entstand eine Freundschaft und ein intensiver künstlerischer Austausch. Roads entdeckte in Stephan einen außergewöhnlich begabten Pianisten und Komponisten mit großem Interesse an elektronischer Klanggestaltung.

Stephan Kaske, Thom Blum, and John Strawn. Eastman School of Music Rochester. Photo: Louis Ouzer
Im Bild sind neben Stephan Kaske, Thom Blum und John Strawn zu sehen – beide sind, ebenso wie Curtis Roads, prägende Figuren der frühen internationalen Computermusikszene und Mitbegründer der International Computer Music Association (ICMA).
Nach dem Sommer blieb Stephan mit der Computermusik eng verbunden, arbeitete als Sounddesigner und kehrte mehrmals an das MIT zurück. 1984 trafen sich beide erneut in Paris beim Computermusikkongress.

Kaske, Roads, Forum Les Halles, Paris, 1984
Bei einem Besuch in Starnberg lernte Roads Stephans Vater, Dr. Karlheinz Kaske, kennen. Wenige Monate später, im Juli 1985, kam Stephan während einer Reise in Spanien ums Leben. Roads schrieb später, er habe das Gefühl gehabt, dass Still Life ein Werk sei, das er „vollenden musste, um Stephan zu ehren“.

Karlheinz Kaske & Hans-Peter Haller 1989, Photo by Curtis Roads
Die Entstehung von „Still Life“
Nach Stephans Tod bat Roads die Familie um die Originalbänder des unvollendeten Projekts Movements in a Still Life, das Stephan in den Jahren 1983–84 begonnen hatte. Diese Aufnahmen waren mit der frühen Computersprache Music 11 auf PDP-11-Systemen erstellt worden – unter äußerst begrenzten technischen Möglichkeiten.
“All aspects of each sound were specified in terms of alphanumeric codes. There were no graphic editing tools. Audio rendering times were lengthy. It was common to devote hours to the calculation of a single sound file lasting less than a minute.”
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„Alle Aspekte jedes einzelnen Klangs mussten in Form von alphanumerischen Codes beschrieben werden. Es gab keine grafischen Editierwerkzeuge. Die Berechnungszeiten für Audio waren sehr lang – oft benötigte man mehrere Stunden, um eine einzige Klangdatei zu erzeugen, die weniger als eine Minute dauerte.“
— Curtis Roads, Booklet Electronic Music 1994–2021
Die Materialien bestanden aus einzelnen Klängen und kurzen Sequenzen: mikrotonale Akkorde, Inharmonien, Rauschen, vokalartige Töne. Roads begann 1986 mit der Digitalisierung, kam jedoch erst 2002 zur eigentlichen Bearbeitung. Er gruppierte die Klänge in sieben Kategorien (A–G), mischte und strukturierte sie neu. Problematisches Material verwarf er, die endgültige Fassung umfasst vier Teile: D, B, F und A.
Roads kombinierte die ursprünglichen Klänge mit neuen, von ihm erzeugten Sounds. Dabei verband er historische FM- und Partikeltechniken mit zeitgenössischer Klangbearbeitung – stets in dem Bewusstsein, aus Freundesmaterial zu schöpfen:
“Over time it became my material as well as his. I imagined a collaborative effort, as if a musician sent me sounds to organize and transform according to my sensibility.”
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„Mit der Zeit wurde es ebenso mein Material wie seines. Ich stellte mir die Arbeit als eine Art Zusammenarbeit vor – so, als hätte mir ein Musiker seine Klänge geschickt, damit ich sie nach meinem eigenen Empfinden ordne und gestalte.“
— Curtis Roads, Booklet Electronic Music 1994–2021
So entstand eine Komposition, die in ihrer Entstehung fast vier Jahrzehnte umspannt. Still Life wurde schließlich am 7. November 2016 im Künstlerhaus München durch die Christoph-und-Stephan-Kaske-Stiftung uraufgeführt.
“Still Life is a work that I had to complete to honor Stephan’s memory.”
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„Still Life ist ein Werk, das ich vollenden musste, um Stephans Andenken zu ehren.“
— Curtis Roads, Booklet Electronic Music 1994–2021
Veröffentlichung auf Elli Records (2025)
Im Januar 2025 erschien Still Life erstmals auf Tonträger – als Teil des Albums Electronic Music 1994–2021 bei Elli Records (Frankreich). Curtis Roads fasste darin Werke zusammen, die über Jahrzehnte hinweg entstanden sind.
Mit dieser Veröffentlichung wird Still Life nicht nur bewahrt, sondern als bedeutendes Zeugnis einer frühen Ära der Computermusik weltweit zugänglich gemacht.
“The piece Still Life that I made with Stephan’s sounds has been published on the Elli Records (France) label and I have been giving concerts with it on the program.”
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„Das Stück Still Life, das ich mit Stephans Klängen geschaffen habe, ist beim Label Elli Records (Frankreich) erschienen, und ich habe es in mein Konzertprogramm aufgenommen“
— Curtis Roads, Booklet Electronic Music 1994–2021

Fotografische Dokumente
Für die Veröffentlichung stellte Curtis Roads mehrere historische Fotos zur Verfügung, die die enge Verbindung zwischen den beiden Komponisten dokumentieren:
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Forum Les Halles, Paris (1984): Stephan Kaske (oben) und Curtis Roads (unten) – aufgenommen beim Computermusikkongress.
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München (1984): Photo: Curtis Roads, Dr. Karlheinz Kaske mit dem Komponisten Hans-Peter Haller.
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ICMC @ Eastman School Of Music (1983): Photo: Louis Ouzer, Stephan Kaske, Thom Blum und John Strawn – Mitbegründer der International Computer Music Association gemeinsam mit Curtis Roads.
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Sensoji-Tempel, Tokio (1991): Curtis Roads während eines Arbeitsaufenthalts in Japan.

Curtis Roads in front of Sensoji Temple, Tokyo, 1991.
